60_26_1356395182_23_thuong_nho_dong_que

 you will find The English version here  with added comments.

Grün und gelb leuchten die Reisfelder. Nham, ein Siebzehnjähriger arbeitet mit anderen in einer Ziegelbrennerei. Man sieht ihm bei der Arbeit zu, wie er schwitzt und keucht. Danach legt er sich erschöpft auf die Ziegel. Die anderen, ebenfalls müde von der Arbeit, versammeln sich erst einmal, um sich zu entspannen. Den Lohn, den er bekommt, gibt er seiner Schwägerin. Da läuft er auf dem Feld nach Hause, das jetzt fast das ganze Bild füllt. Der Rahmen des Films, das ist vor allem das Ernten und Pflanzen der Reisfelder. Ehrfürchtig pflückt er eine Reisähre, schmeckt sie und blickt in den blauen Himmel, wo ein Flugzeug vorbeifliegt.

Nhams Vater ist im Krieg gefallen. So lebt er mit seiner Mutter, seiner kleinen Schwester und der Schwägerin Ngu zusammen. Der Bruder ist fortgezogen, um irgendwo Arbeit zu finden. Hin und wieder erhält Ngu einen Brief von ihm, der sie vermutlich nur hinhält, und ihr schreibt, daß er vorerst nicht heimkehrt. Nham liebt Gedichte, und arbeitet mit seiner Familie in den Reisfeldern. Zwischen ihm und seiner Schwägerin existiert eine nie ausgesprochene Liebe. Aus dem Off kommentiert er den Film als etwas bereits Vergangenes. Die Wahrnehmung des sensiblen Heranwachsenden gleicht der von Harriet in Jean Renoirs The River. In seinem Erleben treffen sich eine Vielzahl von komischen und traurigen Episoden aus dem Leben der Dorfgemeinschaft. Beiläufige Anekdoten durchdringen die subjektive Erzählung Nhams: Eine Fernsehantenne wird auf dem Dach einer Hütte montiert. Kinder mokieren sich über eine Fernsehsendung, in der Frauen die neueste Bademode präsentieren. Ein Schwein läuft in der Küche herum. Bauern unterhalten sich über das Leben in der Stadt. Scheinbar nebensächliche Ereignisse wuchern regelrecht um den Handlungsstrang. So wie ein Kind aufgeregt von erlebten Dingen erzählt, scheint der Regisseur nicht in der Lage zu sein, von den Nebensächlichkeiten abzulassen, die um Nhams Geschichte herum passieren.

Nham fährt mit dem Rad zum Bahnhof um eine junge Frau aus der Nachbarschaft abzuholen, die vor Jahren aus Vietnam geflohen ist. Manchmal begleitet ihn die Kamera aus der Nähe, ein anderes Mal beobachtet sie seine Fahrt aus der Distanz. Einmal ist der Blick absorbiert von den Bewegungen, ein anderes Mal bleibt er auf Distanz. Das verflacht manchmal den filmischen Raum wie zu einem Rollbild.

Quyen, die Besucherin, kehrt in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Sie trägt eine Sonnenbrille und hebt sich ab von den Dorfbewohnern wie eine Ausländerin. Sie sagt, daß sie das Land verlassen habe, um ihrem Ehemann zu entkommen. Wenn sie von einem Flüchtlingslager in Honkong erzählt, dem sie nur durch eine Heirat mit einem Amerikaner entkam, denke ich an die Bootsflüchtlinge, die massenweise Vietnam verlassen mußten. Das Dorf erscheint fast als ein utopischer Ort, in dem sich Freuden und Leiden eines ganzen Volkes versammeln: eine Witwe, die über ihren im Krieg gefallenen Mann trauert, und die Auslandsvietnamesin Quyen, die von ihrer Kindheit träumt. Es geht um das Zurückkehren zur Erde in einer Welt des Fortschritts, der hier nur in kleinen Zeichen eindringt. Quyen, die Fremde, an die sich kaum einer erinnert, entdeckt ihre Heimat wieder und erkennt gleichzeitig die Entfremdung von ihr.

Ich war seltsam berührt von der Art, wie die Menschen die Dinge berühren oder sich manchmal auch nur durch das Haar streichen. Die Technik dieses Films selbst erscheint vollkommen hinter dem zurückzutreten, was man sieht. Manchmal schweift ein Blick zum Fluß, auf dem ein Boot treibt oder in dem Kinder baden. Ein anderes Mal sieht man, wie sich die Pflanzen im Wind bewegen. Vergleichbare Bilder im europäischen Film finde ich auch hier nur in einem Film von Jean Renoir, Une partie de campagne.Auch die Identität des Erzählers Nham scheint sich oft aufzulösen in seine Begegnungen mit den Geschichten der anderen, und vor allem in seinen sinnliche Empfindungen. In einer Szene beobachtet Nham heimlich Quyen, die im Fluß badet. Da nimmt er eines ihrer Kleidungsstücke um daran zu riechen. Als die Frau ihn bemerkt, rennt er erschreckt fort, in den Feldern verschwindend.

Ein rituelles Fest, den Ahnen gewidmet, mit Tänzen und Gebeten. Am Abend dannach wird ein hinreißendes Puppenspiel aufgeführt. Männer, die sich hinter einem Vorhang verbergen, lassen die Puppen auf dem Wasser tanzen. Man sieht die faszinierten Blicke von Kindern und Erwachsenen. In diesem Moment denke ich nicht an den Kontext dieses wunderschönen Schauspiels und einer mir fremden Kultur. Da fühle ich mich erinnert an das erste Puppenspiel, dem ich in meinem Leben zugesehen habe.

Es gibt zwei Szenen, an die ich mich besonders stark erinnere. Das sind eindrucksvolle Momente, die zeigen, daß wahre Erotik immer den größtmöglichen Respekt vor der Schöpfung bedeutet. Ngu, die einsame Schwägerin wirft sich in einem Moment der Verzweiflung um Nhams Hals. Er erwidert diese Umarmung. Eine Weile stehen sie, eng umschlungen. Erschrocken durch die unerwartete Ejakulation Nhams, weicht sie plötzlich zurück. Da sieht man Nham, wie er erstaunt und ein wenig verstört die Spermaflüssigleit an seinen Fingern fühlt. In einer anderen, der zärtlichsten Szene, entdecken Nham und seine Schwägerin ein Nest mit winzigen Jungvögeln. Ngu streichelt sie und ihre Zunge berührt sich mit dem kleinen Schnabel eines Vogels. Dabei lacht sie und singt ein Lied wie ein Kind, das ganz mit sich selbst beschäftigt ist. In Dhang Nhat Minhs Film ist ein fast physisches Empfinden für die zärtliche Liebkosung von Körpern zu spüren.

Betrunkene Lastwagenfahrer verursachen den Tod zweier Kinder, unter ihnen Minh, die kleine Schwester Nhams. Da dringt der Tod mit aller Gewalt in die Welt des sensiblen Jungen ein. Von da an erscheint der Film wie ein unendlich trauriger Abschied. In einer Vision sieht Quyen, die am Bahnhof auf ihre Abreise wartet, ein Boot auf dem die beiden toten Mädchen stehen und ihr zuwinken. Sie verabschiedet sich von Nham. Der blickt dem abfahrenden Zug noch lange hinterher. Für Nham ist Heimat etwas konkretes, sinnlich erfahrbares, für Quyen, die Exilantin mit dem traurigen Lächeln, bleibt sie nicht mehr als ein verlorener Traum.

Nham muß am Ende des Films seinen Militärdienst ableisten. Auf einem Transportfahrzeug zwischen anderen Soldaten sitzend, schreibt er folgende Sätze auf einen Zettel: Mein Name ist Nham. Ich vermisse mein Dorf. Aber ich werde bald zurückkehren. Da wirft er das Stück Papier aus dem Fahrzeug. In einer Einstellung sieht man die schweren Reifen des Wagens auf einer gepflasterten Straße, die sich bedrohlich zwischen ihn und seine geliebte Erde drängen. Der Zettel schwebt durch die Luft. Die Liebeserklärung Nhams an seine Heimat ist verloren. Auf einem Reisfeld steht Ngu, die Reissetzlinge pflanzt. Mit einem Bambushut auf dem Kopf und tief gebückt, verrichtet sie die Arbeit, von der das Leben dieser Dörfer abhängt, dann friert das Bild plötzlich ein.

Thuong Nho Dong Que ist ein merkwürdiger Film. Bis auf ein paar auffällige Kunstgriffe und wenige Einstellungen habe ich seine Form fast völlig vergessen. Da ist so viel Zärtlichkeit für seine Personen und Aufmerksamkeit den kleinsten Dingen gegenüber, an der jede Analyse scheitern muß. Das, was ich gesehen habe und fast glaubte berührt zu haben, erscheint mir wie eine persönliche Erinnerung, für die ich selbst eine Form finden muß. Das Wunder dieses Films ist die Sehnsucht, die er hervorruft, diese Welt mit allen Sinnen des Körpers wiederentdecken zu wollen.

Rüdiger Tomczak

Hier sind alle meine Texte über Dang Nhat Minh in VIETNAMESISCH zu lesen.

   (shomingeki Nummer 4, vergriffene Ausgabe)